Leseprobe

 


Hermit erkannte das Gasthaus am über dem Eingang angebrachten Holzschild, auf das im Stil des örtlichen Geschmacks die Silhouette eines kurbettierenden Ipakos gemalt worden war. Nicht die mangelnden Fähigkeiten des Künstlers, die Wahl der Farben, der kitschige Ausdruck oder die fragwürdigen Proportionen des Tieres ließen ihn verächtlich schnauben, es war vielmehr das Wissen um die Unmöglichkeit dieser Bewegung, die ihm deutlich machte, dass, wer auch immer das Schild bemalt hatte, noch nie auf dem Rücken eines Ipakos in eine brenzlige Situation geraten war, sondern es vorzog, von einem sicheren Ort aus die Welt zu betrachten und falsche Schlüsse zu ziehen. Der Winkel des auf den Hinterbeinen stehenden Reittiers war unmöglich, es wäre, so wusste Hermit, wenn es jemand dazu gezwungen hätte, diese Haltung einzunehmen, dazu verdammt gewesen, nach hinten zu stürzen und den Reiter unter seinem mächtigen Körper zu begraben. Sich ein Ipako in dieser Position auf den Hinterbeinen vorwärts hüpfend vorzustellen, konnte nur dem schwachen Geist und romantischen Bedürfnis der sogenannten Zivilisation entspringen. Zumindest, dachte Hermit, war es ein eindeutiger Treffpunkt. Denn wer oft genug auf der Suche nach Auftraggebern oder Mitstreitern durch zwielichtige Viertel in dunklen Winkeln mit namenlosen Spelunken seine Zeit vertan hatte, der entwickelte bereits in jungen Jahren einen nützlichen Pragmatismus und war für eindeutige Hinweise dankbar. Ob diese nun eine optische Beleidigung für einen waghalsigen Reiter darstellten oder nicht, spielte keine Rolle. Hermit warf zwei wachsame Blicke rechts und links des Gasthauses die staubige Straße entlang und trat mit der ihm eigenen sparsamen Geschmeidigkeit in den Schankraum. Der Wirt, der mit einem dreckigen Tuch den Tresen abwischte, schien ihn erwartet zu haben und winkte ihn mit großer Geste heran. Nie hatte Hermit erlebt, dass man einem Fremden wie ihm, martialisch bewaffnet, im Lendenschurz aus Raupenpelz und mit einem gehörnten Helm angetan, mit weniger Misstrauen begegnet wäre.

„Hurtig herbei, junger Freund, sieh nur, deine Gefährten sind bereits eingetroffen“, rief er salbungsvoll. Es wirkte gestelzt, doch das störte Hermit nicht weiter. Er folgte mit den Augen dem ausgestreckten, fetten Finger des Wirts durch den gut besetzten Gastraum zu einem Tisch, an dem sich zwei Gestalten befanden, die beide, wie sich Hermit eingestehen musste, hinter seinen Erwartungen zurückblieben. Das klobige, irgendwie schief oder zumindest ramponiert wirkende Ding war nicht die glänzende Kampfmaschine, die er sich vorgestellt hatte, als ihm seine Auftraggeberin Kassandra mit ehrfürchtigem Beben in der Stimme zugeraunt hatte, dass ein echter Roboter an der Erfüllung des Auftrags beteiligt sein würde. Die Roboter waren vor so langer Zeit vom Himmel auf den Planeten Treboria herabgestiegen, dass niemand, nicht einmal sie selbst noch wussten, ob sie von Göttern gesandt oder selbst welche waren. Durch ihre Fähigkeit, einander zu orten und noch mit den primitivsten Werkzeugen gegenseitig zu reparieren, galten sie als beinahe unsterblich und ihr Mut war sprichwörtlich. Sie kannten schlichtweg keine Furcht, was sie zu begehrten und kostspieligen Kämpfern für heikle Unterfangen machte. Neben dem Roboter, der grobmotorisch seinen Krug mit Gebrräu stemmte, hockte eine kümmerliche, nervös wirkende Gestalt mit durchscheinender Haut und rosafarbenen atavistischen Kiemen. Das sollte ein Axolotling sein, einer jener gut ausgebildeten Schwertkämpfer mit dem sagenumwobenen Orientierungssinn uralter Oktopoden, mit denen sich seine Art zu Anbeginn der Zeiten gepaart hatte? Dieser dort sah aus, als ob er nicht einmal den Weg zum Abort und zurück finden würde!

Hermit ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und vergewisserte sich, dass ein Irrtum ausgeschlossen war und nicht irgendwo stattlichere Versionen seiner zukünftigen Gefährten säßen. Da das nicht der Fall war, steuerte er auf den Tisch zu, stellte sich vor, setzte den Helm ab und ließ sich auf einem freien, kläglich ächzenden Stuhl am verkrusteten Tisch nieder. Da er nun schon mal da war und ihn der Marsch durch die Girschk-Ebene durstig gemacht hatte, konnte er genauso gut Kehle und Schallblase befeuchten und mit seinen neuen Gefährten gemeinsam die Krüge auf das bevorstehende Abenteuer heben, statt sich unnötige Gedanken zu machen. Auf seinen Wink hin brachte der Wirt einen erstaunlich großen Krug herbei, den zu befüllen er nicht geizig gewesen war. Dabei wies sonst alles in seiner Haltung das typische Verhalten der Bewohner von Prk auf. Allein wie er zum Polieren der Krüge in sein Tuch spuckte, sollte dem Reisenden anzeigen, dass Wasser am Rande der Magrar-Halbwüste ein knappes Gut war, das mit entsprechender Münze zu entlohnen war. Obwohl Prk über eine munter sprudelnde Wasserstelle verfügte, hielt man es künstlich knapp, um die Preise nicht zu verderben, war es doch die einzige Einnahmequelle der Stadt, Karawanen, Reisenden, Abenteurern und Schatzsuchenden mit Rastmöglichkeiten und dem Auffüllen der Wasservorräte zu Diensten zu sein.

Krachend stießen die Krüge zusammen und bald hatte Hermit den ungünstigen ersten Eindruck vergessen, den seine Gefährten auf ihn gemacht hatten. Als nämlich ein Gast einen Scherz über Hermits grünen Rücken riss, standen beide zugleich auf und legten drohend die Hände an die Hefte ihrer Schwerter. Erst auf Hermits Abwinken hin lösten sie ihre kampfbereite Haltung und sie setzten sich, ohne dass sich erkennen ließ, ob sie das Ausbleiben einer Gasthausschlägerei bedauerten oder nicht.

„Gibt immer einen Schlaumeier, der meint, dass er sich mit den Sitten Palusiens auskennt“, brummte Hermit und gab sich gleichgültig. Dabei nagte es jedes Mal an ihm, wenn auf Kosten seiner fehlenden Stammestätowierungen Witze gemacht wurden. Denn wenn jemand aus den Sumpflanden nicht im Rahmen eines Initiationsrituals in den Farben seiner Sippe gekennzeichnet worden war, war er entweder noch blutjung oder es stimmte etwas nicht mit ihm.

„Darfst du um die Uhrzeit überhaupt noch allein auf die Straße, Süßer?“, krakelte eine gebrräuberauschte Teilnehmerin einer Reisegruppe und bekam unter dem bösen Blick des Wirts von ihrer Sitznachbarin warnend den Ellbogen in die Seite gestoßen und verstummte. Hermit ließ sich keinen Unmut anmerken, sondern stopfte sein Pfeifchen und ließ würzigen Rauch aufsteigen.

„Uns Reisenden begegnen doch in der Fremde allenthalben Vorurteile, nicht wahr?“, sinnierte der Axolotling, der Lauch hieß, was in der Zunge seines Volkes etwas anderes bedeutete als in der gemeinsamen Sprache.

„Hermit, Froschbarbar aus Palusien, ja ja“, polterte der Roboter und es klang beunruhigenderweise so, als ob er sich selbst daran erinnern musste. „Ihr wisst ja, wie man sagt: Palusiens Entzücken sind Weiber mit grünem Rücken!“ Er lachte dröhnend und Hermit unterließ es, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass es sich bei Froschbarbar um eine äußerst veraltete Bezeichnung handelte, die, so denn sie überhaupt noch Anwendung fand, niemals wohlmeinend war, so wie auch der Humor eine reichliche Staubschicht hatte, was aber bei jemandem, der gut und gerne tausend Jahre alt sein mochte, auch nicht weiter verwunderte. Die Roboter, so hatte Hermit gehört, konnten untereinander stumm kommunizieren, sprachen aber mit anderen Lebewesen, seit sie nach ihrer mysteriösen Landung aus der Wüste gekommen waren. Da ihre Namen aus umfangreichen Seriennummern bestanden, war es üblich, sie der Einfachheit halber mit den ersten vier Ziffern anzusprechen, in diesem Fall 08/13.

Die drei Gefährten ließen den Wirt eine neue Runde Gebrräu herbeischaffen und plauderten gemütlich über ihren Auftrag, der keinem, nicht einmal Lauch, dessen Naturell dazu angetan war, sich Sorgen zu machen, besonders anspruchsvoll oder kompliziert vorkam.

„Pah! In eine Einsiedelei schleichen und ein paar schlecht oder gar nicht bewaffneten Mönchen ein Artefakt stehlen, was kann da schon schiefgehen? Das ist leicht verdientes Geld“, sprach Hermit prahlerisch aus, was alle dachten. Worte, die noch lange in ihm nachhallen sollten und von denen er sich später innig wünschte, sie nie ausgesprochen und damit die Schicksalsgötter herausgefordert zu haben.



Als könnten sie ihr Glück nicht fassen, so unverhofft und leicht zu einem kleinen Vermögen zu kommen, floss das Gebrräu in Strömen. Spät verglühte Hermits Pfeife und wankend stiegen sie im Lampenschein des Wirts die unregelmäßigen Stufen zu den Gästezimmern hinauf. Eventuell waren es gar nicht die Stufen, die unregelmäßig waren, sondern die stolpernden Schritte von Barbar, Axolotling und Roboter, aber wer wollte das später noch so genau wissen? Sie sanken in die Betten der besten Kammern des Hauses, in die der Wirt sie mit grimassenhaftem Lächeln brachte. Dasselbe Lächeln – es wirkte bei Tageslicht wie Leder, das ächzend aus seiner gewohnten Position gebracht wurde – empfing sie am nächsten Morgen neben dem reichgedeckten Frühstückstisch. Die Gefährten wunderten sich nicht weiter darüber. Zum einen, weil sie sich vom Gelage des Vorabends noch in leicht desolatem Zustand befanden – Hermit etwa würde erst gegen Mittag und auf Lauchs schüchterne Nachfrage hin bemerken, dass er seinen gehörnten Helm falsch herum trug – und zum anderen, weil sie sich bereits unmerklich daran gewöhnt hatten, bevorzugt behandelt zu werden. Ihre Auftraggeberin Kassandra hatte weder Kosten noch Mühen gescheut, um sie bestmöglich für ihren Auftrag auszustatten. Und das hielten alle drei Abenteurer, während sie tafelten und dabei hin und wieder, mal mehr und mal weniger vernehmlich, saures Gebrräu aufstießen, für eine logische und angemessene Vorgehensweise.

Aber waren die munteren, braven und gut gezäumten Ipakos, zu denen sie alsbald geführt wurden, nicht doch etwas zu gesund, gut genährt und von freundlicherem Wesen als es notwendig gewesen wäre, drei Diebe durch die Halbwüste zu tragen? Waren Proviant und Wasservorräte nicht nahezu fürstlich und schien es nicht doch merkwürdig, dass sie all das ohne großes Aufheben oder Feilschen erhielten? Dass dieser Wirt aus Prk, wo jeder Bewohner allenthalben so tat, als müsse er sich jeden Tropfen Wasser für Reisende vom Mund absparen, freundlich über die wulstigen Nackenhöcker der Ipakos strich, um zu demonstrieren, dass sie bestmöglich gefüllt waren? Achtlos schwangen sich die Gefährten in die Sättel und stoben ohne besonderen Dank davon, während das angestrengte Lächeln dem Wirt noch eine Weile im Gesicht klebte und sich dann erleichtert verflüchtigte. Und falls doch einem der Reiter etwas an der Sache seltsam erschienen war oder sich sogar Zweifel geregt hatten, blieben diese ungesagt in der aufgewirbelten Staubwolke zurück.



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